„Ich nenne das Supply Chain 4.0.“
Komplette Rückverfolgbarkeit war das Ziel der Wareneingangslösung, die der Schweizer EMS-Dienstleister Vosch Electronic gemeinsam mit CompControl entwickelt hat. CEO Uwe Frech berichtet, was das konkret bedeutet, wieso Aufträge nun flexibler abgewickelt werden können und warum der Firmeneigentümer nicht mehr aufhört zu grinsen.
Herr Frech, Sie haben gemeinsam mit CompControl eine Vollautomatisierung umgesetzt. Was genau bedeutet das?
Wir haben mit Christoph Limpert etwas gebaut, was sicherlich ein Unikat in der Industrie ist: eine Full-Trace-Lösung vom Hersteller bis hin zu unserem fertigen Produkt. Für unsere Kunden können wir nun genau sagen, wo welche Komponente zu welchem Zeitpunkt auf welche Leiterplatte bestückt wurde. Ich nenne das Supply Chain 4.0.
Wie sieht diese Lösung konkret aus?
Basis ist der Wareneingangstisch von CompControl, der mit dem Lagersystem kommuniziert. Obendrüber haben wir ein komplettes Logistikkonzept neu entwickelt, das es so nicht standardmäßig im Angebot von CompControl gibt. In dieses sind auch die Bestückautomaten eingebunden. Denn diese liefern ja schon relativ viele Informationen darüber, welche Komponente auf welcher Leiter platte bestückt ist. Umgekehrt fordern die Bestückautomaten vorab auch Daten vom Lagersystem ein. Zum Beispiel: Ist die erforderliche Komponente verfüg-bar? Wo befindet sie sich? Ist sie überhaupt schon geliefert? Diese gesamte Kommunikation hat CompControl mit seiner Software bewerkstelligt. Und was genial ist: Auch das ERP-System ist angebunden.
Was ist daran besonders?
Es mag kaum zu glauben sein, aber Vosch arbeitet mit einem sehr alten ERP-System. Konkret: mit einem System aus dem Jahr 1999.
Und was bringt dessen Verknüpfung mit dem Wareneingang?
Wenn am Wareneingangstisch eine Rolle von einem Lieferanten ankommt und gescannt wird, kann auch sofort die entsprechende Bestellung gebucht werden. Dann wissen wir, dass die Ware da ist, und können den Rechnungslauf auslösen.
Was war der Grund, eine solche Lösung einzuführen?
Wir hatten festgestellt, dass wir relativ viel Geld im Bereich der Logistik verloren. Uns fehlten Informationen zu den Waren. Wo sind sie? Sind sie schon bei uns? Und so weiter. Zudem konnten wir auch nicht sagen, auf welcher Platine eine Komponente bestückt wurde. Ich komme aus der Post-Automatisierung. Dort ist es selbstverständlich, dass man weiß, woher ein Brief kommt und wohin er geht. Daher hatten wir uns schon vor acht Jahren damit beschäftigt, ein entsprechendes System zu implementieren. Doch das ließ sich mit den damaligen Lager- und Automatisierungslieferanten nicht realisieren. Mit Christoph Limpert und seinem Team konnten wir es dann umsetzen.
Wie viel Zeit hat das gesamte Projekt in Anspruch genommen?
Vom Startschuss bis zum Go Live waren das zwei Jahre.
Und die Rückverfolgbarkeit, die das Ziel des Projekts war, haben Sie erreicht?
Ja, aber nicht nur das. Auch das Rüsten der Maschine wurde optimiert. Denn wir bestücken 13 Millionen Komponenten im Jahr. Und als eher kleiner EMS-Dienstleister mit einer Linie rüsten wir im Durchschnitt fünf Mal am Tag um. Es war daher für uns besonders wichtig, möglichst schnell mit möglichst wenig Aufwand umrüsten zu können. Und dafür müssen wir wissen, ob die Ware verfügbar ist und ob sie sich an der Maschine, im Lagersystem oder sonst wo befindet.
Welchen Effekt hat das auf Vosch?
Wir sind noch flexibler geworden. Wenn zum Beispiel eine Komponente morgens nicht geliefert wird, können wir relativ schnell reagieren, die Maschine umrüsten und einen Auftrag ausführen, der eigentlich später geplant war. Dann gibt das Lagersystem automatisch die Rollen in der Reihenfolge aus, in der die Automaten gefüttert werden müssen. Früher mussten unsere Mitarbeiterinnen, die für das manuell herausholen.
Sie konnten also die Produktivität steigern?
Wir haben mit der Lösung die Produktivität innerhalb der Fertigung verdoppelt. Zu Beginn haben wir uns gesagt: Wenn es wirklich gut läuft, erreichen wir nach fünf Jahren ein Return on Investment. Nun gehen wir davon aus, dass wir diesen innerhalb von zweieinhalb bis drei Jahren erreichen. Unser Verwaltungsrat und Eigentümer hört nicht mehr auf zu grinsen, wenn es um dieses Thema geht.
Sie haben die Mitarbeiterinnen erwähnt, die sich um das Bestücken der Maschinen kümmern. Wie haben diese die Lösung akzeptiert?
Die Damen sind sehr froh, weil sie sich jetzt zu 100 Prozent auf ihre Aufgaben an der Maschine konzentrieren können. Aber die Lösung hat natürlich auch den Druck verstärkt, produktiv zu arbeiten. Denn die Schlagzahl hat sich erhöht, alle 60 Sekunden gibt das Lagersystem eine neue Rolle aus.
Gab es besondere Herausforderungen bei der Einführung des Systems?
Die Integrationsarbeit darf bei einem solchen Projekt nicht unterschätzt werden. Denn man muss eine Reihe verschiedener Komponenten zusammenbringen. In unserem Fall waren das unter anderem die Software von CompControl, unser ERP-System, die Bestückungsautomaten, Röntgen-Automaten als Bauteilzähler und das Lagersystem. Aber wir haben alles über Standardschnittstellen der einzelnen Maschinen und Software-Systeme realisiert. Wir mussten keine neuen Schnittstellen schreiben. Somit ließe sich die Lösung auch auf andere Anwender transferieren. Denn eine solche Lösung ist eigentlich für jeden EMS-Dienstleister interessant.
Und wie lief die Zusammenarbeit mit CompControl?
Christoph Limpert hat unsere Anforderungen sofort verstanden. Und wir sind uns immer auf Augenhöhe begegnet. Wir ticken ähnlich. Wenn er sagt, dass er ein Projekt umsetzen kann, dann kann man sich darauf verlassen.